Stellungnahme zum Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen
1 Vorbemerkung
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erarbeitet seit Oktober 2023 einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen. Ziel ist es, Hindernisse beim Zugang zur Versorgung für die Menschen in all ihrer Verschiedenheit und Vielfalt abzubauen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) teilt dieses Ziel und engagiert sich dazu selbst bereits aktiv.
In einem Beteiligungsverfahren hatten Akteurinnen und Akteuren die Möglichkeit, Maßnahmen für den Aktionsplan zu benennen. Das IQWiG hat sich an den Fachgesprächen beteiligt, in denen die Maßnahmenvorschläge diskutiert wurden.
Das BMG hat jetzt Maßnahmen für den Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen vorgelegt.
Einige dieser Maßnahmen stehen in direkten Bezug zum gesetzlichen Auftrag des IQWiG nach § 139a SGB V zur Bereitstellung von „für alle Bürgerinnen und Bürger verständlichen Informationen“ zu Gesundheitsfragen. Das IQWiG betreibt dazu seit 2006 die zweisprachige (DE/EN) Webseite gesundheitsinformation.de/informedhealth.org und erstellt kontinuierlich im Auftrag des G-BA Versicherteninformationen und Entscheidungshilfen. Auch das BMG hat das IQWiG nach § 139b SGB V in der Vergangenheit mit Gesundheitsinformationen beauftragt. Zudem kooperiert das Institut mit gesund.bund.de.
In diesem Rahmen hat das IQWiG bereits in Zusammenarbeit mit Versorgungspartnern Materialien in Leichter Sprache für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erstellt. Das Institut wird zudem sein Engagement für Menschen, die es bisher nicht gut erreicht, gezielt ausbauen.
2 Maßnahmen des Aktionsplans mit Bezug zum IQWiG
Das IQWiG nimmt im Folgenden zu Maßnahmen Stellung, bei denen ein Bezug zu seinen gesetzlichen Aufgaben und deren Umsetzung besteht.
2.1 I.41: altersgerechte Informationsmaterialien für Kinder und Jugendliche
Maßnahme
Die BZgA wird altersgerechte Informationsmaterialien für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern in einfacher Sprache zu zentralen Themen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen entwickeln. Der Fokus wird voraussichtlich zunächst auf krankheitsübergreifenden Aspekten liegen mit einem Schwerpunkt auf der Kommunikation zwischen den jungen Patientinnen und Patienten, ihren Sorgeberechtigten sowie den behandelnden Fachkräften.
Stellungnahme des IQWiG
Diese Maßnahme sollte im Zusammenhang mit den U- und J-Untersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherung gesehen und darin eingebettet werden. Es erscheint sinnvoller, diese Maßnahme in der Selbstverwaltung, zum Beispiel beim Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA), zu verankern.
2.2 I.42: Entwicklungsscreening zur psychischen Gesundheit
Maßnahme
Das BMG wird die Länder auffordern, ein Entwicklungsscreening zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zur Kita-Untersuchung, Schulaufnahmeuntersuchung und schulärztlichen Untersuchung zu verankern.
Stellungnahme des IQWiG
Ein Screening zur psychischen Gesundheit ist selbst eine Intervention, deren Nutzen und Schaden sorgfältig abgewogen werden sollten. Ziel eines Entwicklungsscreenings zur psychischen Gesundheit wäre es, Kinder und Jugendliche zu erkennen, bei denen die psychische Gesundheit entweder bereits beeinträchtigt oder gefährdet ist. Für diese Kinder und Jugendlichen müssten dann wirksame Angebote zur Verbesserung ihrer psychischen Situation zur Verfügung stehen.
Das bedeutet: Ein Screening kann nur dann einen Nutzen haben, wenn wirksame Behandlungen in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Diese Frage wäre der erste Teil einer wissenschaftlichen Bewertung.
Diese Verknüpfung zwischen Screening und Therapie ist der Grund, warum zum Beispiel der § 25 SGB V fordert, dass sich Gesundheitsuntersuchungen auf Krankheiten beziehen, „die wirksam behandelt werden können oder um zu erfassende gesundheitliche Risiken und Belastungen, die durch geeignete Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention […] vermieden, beseitigt oder vermindert werden können. Die im Rahmen der Untersuchungen erbrachten Maßnahmen zur Früherkennung setzen ferner voraus, dass
- 1) das Vor- und Frühstadium dieser Krankheiten durch diagnostische Maßnahmen erfassbar ist,
- 2) die Krankheitszeichen medizinisch-technisch genügend eindeutig zu erfassen sind,
- 3) genügend Ärzte und Einrichtungen vorhanden sind, um die aufgefundenen Verdachtsfälle eindeutig zu diagnostizieren und zu behandeln.“
Gleichzeitig hat ein Screening unvermeidbar Nachteile, die gegen einen eventuellen Nutzen abgewogen werden müssen. Diese Nachteile sind der Grund, weshalb der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen eine ausführliche Aufklärung über Screening fordert, zum Beispiel in § 25a SGB V.
Zu den Nachteilen gehört zum Beispiel, dass bei einem Entwicklungsscreening zur psychischen Gesundheit immer auch Kinder und Jugendliche identifiziert werden, die in Wahrheit keine Beeinträchtigung haben. Die Häufigkeit solcher falsch-positiven Befunde hängt vom Screening-Instrument ab und sollte vor Start eines Screenings bekannt sein. Bereits die Abklärung positiver Befunde kann erhebliche Aufwände für Personal sowie für Kinder und ihre Eltern bedeuten – und ggf. selbst die psychische Gesundheit beeinträchtigen.
Vor Start eines Screenings ist auch eine Klärung wichtig, ob es bestimmte Risikogruppen gibt, auf die ein Screening fokussiert werden sollte.
Die Einführung solcher Screenings erfordert zusammenfassend eine systematische Bewertung der Vor- und der Nachteile. Diese Bewertung sollte abgeschlossen sein, bevor die Länder aufgefordert werden, das vorgesehene Screening zu verankern. Eine geeignete wissenschaftliche Einrichtung sollte mit dieser Bewertung beauftragt werden.
2.3 Versicherteninformationen zu organisierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen
Maßnahme
Versicherteninformationen zu organisierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, die ursprünglich vom G-BA bereitgestellt wurden, werden zukünftig regelhaft in Leichter/Einfacher Sprache und Fremdsprachen zur Verfügung gestellt. Hierdurch wird der breite Zugang zur organisierten Krebsfrüherkennung für eine Vielzahl unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gefördert.
1. Stufe: IQWiG prüft [kurzfristig] Bereitstellung von Versicherteninformationen zu organisierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in Leichter/Einfacher Sprache und Fremdsprachen (falls 1. Stufe aufgrund rechtlicher oder haushalterischer Bedenken nicht umsetzbar sein sollte, könnte bei rechtlichen Bedenken eine gesetzliche Ermächtigung oder ein Auftrag beziehungsweise eine Verpflichtung denkbar sein – siehe Stufe 2).
2. Stufe: Gesetzliche Verankerung spezifisch zur organisierten Krebsfrüherkennung im § 25a SGB V oder gegebenenfalls grundsätzliche krankheitsübergreifende Regelung zur Früherkennung bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen zum Beispiel im § 139a Absatz 3 SGB V denkbar.
Stellungnahme des IQWiG
Wir halten die angesprochene erweiterte Bereitstellung von Informationen grundsätzlich für sinnvoll. Diese Maßnahme ist eingebettet in die generelle Frage, wie das IQWiG mit seinen Gesundheitsinformationen Gruppen im deutschen Gesundheitswesen besser erreicht. Denn verschiedene Gruppen werden bislang über die IQWiG-Website www.gesundheitsinformation.de nicht gut erreicht. Aufgrund eigener Vorarbeiten zu diesem Thema weisen wir darauf hin, dass es nicht genügt, Informationen „nur“ bereitzustellen [1,2]. Auch die Distribution, Bekanntmachung und Einbindung der Informationen in die Versorgung sollte ein Teil der Maßnahme sein.
2.4 VI.14: Communitybasierte Informationsangebote zu Gesundheitsthemen
Maßnahme
Das BMG wird die Schaffung und Verbreitung communitybasierter Informationsangebote zu Gesundheitsthemen auch durch Schulung und den Einsatz von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf Grundlage der Erkenntnisse bereits erfolgter Modellvorhaben unterstützen.
Stellungnahme des IQWiG
Diese Maßnahme steht in Bezug zum aktuellen Engagement des IQWiG, Gruppen besser zu erreichen, die es im gesetzlichen Auftrag zur Bereitstellung verständlicher Informationen noch nicht gut genug erreicht. Dazu hat das Institut bereits eine Bedarfsanalyse erarbeiten und veröffentlicht [1]. Aktuell wird im IQWiG aufbauend auf diesen Ergebnissen ein Projekt umgesetzt, in dem in Zusammenarbeit mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Gesundheitsinformationen für schwer erreichbare Zielgruppen entwickelt und zur Verfügung gestellt werden sollen. Dazu gehören auch Informationen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Die Ergebnisse dieser Projekte sollten später in der Umsetzung der Maßnahme berücksichtigt werden.
2.5 VI.15: Informationen werden zukünftig in den zahnärztlichen und ärztlichen Praxen bekannter gemacht
Maßnahme
Die mehrsprachigen Informationen des Nationalen Gesundheitsportals (gesund.bund.de) werden zukünftig in den zahnärztlichen und ärztlichen Praxen bekannter gemacht und können im Arztgespräch an die Patientinnen und Patienten übermittelt werden.
Stellungnahme des IQWiG
Generell ist es sinnvoll, Informationen, die den Anforderungen an „gute“ Gesundheitsinformationen genügen, in die Behandlung einzubinden. Auf Grundlage einer eigenen Bedarfsanalyse [1] kommen wir jedoch zu der Einschätzung, dass in zahnärztlichen und ärztlichen Praxen (und generell in der konkreten Gesundheitsversorgung) in Verständlichkeit, Verwendungssituation, Inhalten und Formaten angepasste Informationen nötig sind, damit sie für Patientinnen und Patienten, aber auch für die Praxen hilfreich sind. Diese Maßnahme sollte deshalb in der Umsetzung nicht auf gesund.bund.de begrenzt sein, sondern die Übermittlung von weiteren Informationsangeboten einschließen, die eine Bedeutung für die Gesundheitsversorgung haben. Dazu gehören beispielsweise die Gesundheitsinformationen des IQWiG.
Sollte die „Übermittlung“ in die Praxen auch digital erfolgen, ist es sinnvoll, verbindliche interoperable Standards festzulegen, damit die Gesundheitsinformationen aufwandsarm in Software-Anwendungen in Praxen und Kliniken eingebunden werden können. Wir verweisen dazu auf unsere Stellungnahmen zum Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) [3] und zur Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) [4].
3 Weitere Umsetzung der Maßnahmen
Wir stehen in der weiteren Schärfung und Umsetzung der Maßnahmen gerne für Gespräche zur Verfügung.
4 Literatur
1. Zschorlich B, Wiegard B, Warthun N, Koch K. Health information for hard-to-reach target groups: A qualitative needs assessment. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2023; 179: 8-17. https://doi.org/10.1016/j.zefq.2023.03.012. |
2. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Check-Up für den „Check-Up“ [online]. 2024. URL: https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_118720.html. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Seite 6 von 6 |
3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) Stellungnahme vom 07.06.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Referentenentwurf des GDAG vom 07.05.2024 [online]. 2024. URL: https://www.iqwig.de/presse/iqwig-stellungnahmen/07062024.html. |
4. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) Stellungnahme vom 21.05.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Referentenentwurf der Novelle des GIGV vom 12.04.2024 [online]. 2024. URL: https://www.iqwig.de/presse/iqwig-stellungnahmen/21052024.html. |