12.10.2012

Antikörperbeschichtete Stents: Hinweis auf Nachteile

Risiko für Herzinfarkt und erneute Eingriffe ist höher als bei medikamentenbeschichteten Stents

Müssen verengte oder geschlossene Herzkranzgefäße geweitet oder geöffnet werden, wird dabei in den meisten Fällen auch eine Gefäßstütze (Stent) eingesetzt. Bei Patientinnen und Patienten, die ein hohes für eine erneute Gefäßverengung (Restenose) haben, werden mit Medikamenten beschichtete Stents bevorzugt. Seit einigen Jahren verwenden Kliniken jedoch zunehmend auch Gefäßstützen mit einer Beschichtung, die aus Antikörpern besteht. Aktuelle Studien liefern Hinweise, dass diese neuen antikörperbeschichteten Stents häufiger zu Herzinfarkten führen und erneute Eingriffe notwendig machen. Zu diesem Ergebnis kommt der am 12. Oktober 2012 veröffentlichte () des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Patienten mit hohem Restenose-Risiko im Fokus

Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hatte dem Kölner Institut den Auftrag erteilt, Vor- und Nachteile antikörperbeschichteter Stents im Vergleich zu alternativen Maßnahmen zu untersuchen. Im Mittelpunkt sollten diejenigen Patientinnen und Patienten mit einer Koronaren Herzkrankheit (KHK) stehen, die ein hohes für eine Restenose haben. Dieses hängt unter anderem davon ab, wie lange es her ist, dass sich das Gefäß ursprünglich verengt hat, wie stark die Verengung ausgeprägt und wo genau sie lokalisiert ist. Auch die Krümmung der betroffenen Gefäße kann eine Rolle spielen.

Auch Gefäße mit Stents können sich erneut verschließen

Verengte Herzkrankgefäße werden in der Regel durch einen Eingriff geweitet und mit Stents, d.h. Röhrchen aus Drahtnetz, stabilisiert. Aber auch durch Stents gestützte Gefäße können sich durch überschießende Neubildung von Gewebe wieder verschließen, was dann einen erneuten Eingriff erforderlich macht (Revaskularisation). Stents sind zudem Fremdkörper, an denen sich Blutplättchen anheften und Blutgerinnsel (Thrombosen) bilden können, solange das Material nicht vollständig mit einer glatten Zellschicht (Epithel) überzogen ist. Diesen beiden Hauptrisiken, Thrombosebildung und Gewebswucherung, versucht man zum einen mit speziellen Beschichtungen der Stents und zum anderen mit gerinnungshemmenden Medikamenten entgegenzuwirken.

Risiko für Thrombosen steigt

Während die erste, heute bei Patienten mit hohem Restenose-Risiko nur noch selten verwendete Generation von Stents aus reinem Metall besteht (bare-metal stents, BMS), ist die Folgegeneration beschichtet und setzt kleine Mengen von Arzneistoffen frei (drug-eluting stents, DES). Diese Wirkstoffe sollen das Zellwachstum bremsen und damit erneute Revaskularisationen vermeiden helfen.

Weil damit auch das Einwachsen der Stents verzögert wird, steigt aber das für Thrombosen. Daher müssen Patienten mit einem DES nach dem Eingriff in aller Regel mindestens 12 Monate Medikamente einnehmen, die vor Thrombosen schützen. Am häufigsten werden dabei die Wirkstoffe Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel, sogenannte Plättchenhemmer, eingesetzt.

AK-Stents sollen Einsatz von Gerinnungshemmern reduzieren

Das Wirkprinzip der dritten Generation von Stents besteht darin, dass spezielle Antikörper (AK) einwachsende Zellen der Gefäßwand "anlocken" sollen, um ein Epithel zu bilden. Das Drahtnetz soll dadurch schneller einwachsen, das Thromboserisiko soll sinken. Der Hersteller wirbt damit, dass auf dieses Weise auch die Medikamente gegen Thrombose deutlich kürzer eingenommen werden müssen, was Nebenwirkungen in Form einer höheren Blutungsneigung vermeiden und Kosten senken helfe.

Zwei von drei Studien anfällig für Verzerrungen

Insgesamt standen dem IQWiG drei randomisierte kontrollierte Studien zur Verfügung. Zwei Studien verglichen AK-Stents mit DES, eine weitere AK-Stents mit BMS. Eine DES- und die BMS-Studie hatten nur wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wurden ungeplant vorzeitig abgebrochen, d.h. ohne dass die Kriterien für den jeweiligen Abbruch vor Studienbeginn festgelegt worden waren. Bei einer dieser beiden war zudem unklar, ob die zufällige Zuteilung zu den beiden Behandlungsgruppen ausreichend verdeckt war. Diese Studien waren deshalb in hohem Maße anfällig für Verzerrungen und die Ergebnisse nur eingeschränkt verwertbar.

Dem Wirkmechanismus der AK-Stents entsprechend bekamen die Patientinnen und Patienten in allen drei Studien Clopidogrel nur einen Monat lang, in den Kontrollgruppen dagegen drei (DES) beziehungsweise sechs Monate (BMS).

Vergleich mit DES stützt sich vor allem auf eine Studie

Die vergleichende Nutzenbewertung von DES und AK-Stents stützt sich vor allem auf eine Studie (TRIAS-HR). Mit über 600 Probanden ist sie vergleichsweise groß und hat nur ein geringes Verzerrungspotenzial. Von den insgesamt 304 Patientinnen und Patienten, die einen AK-Stent bekommen hatten, erlitten 13 (4,3%) einen Herzinfarkt, in der Kontrollgruppe mit DES waren es dagegen 5 von 318 (1,6%).

Auch in Hinblick auf erneute Revaskularisationen fallen die Ergebnisse bei den AK-Stents ungünstiger aus: Waren hier bei 71 von 297 (23,9%) der Probandinnen und Probanden weitere Eingriffe notwendig, musste in der Vergleichsgruppe mit den DES bei 51 von 315 (16,2%) Personen die Gefäße ein weiteres Mal eröffnet werden. Da diese Aussagen auf nur einer Studie basieren, sieht das IQWiG sowohl beim Herzinfarkt als auch beim Revaskularisationen keinen Beleg, sondern einen Hinweis auf einen geringeren .

Auch bei einem weiteren Zielkriterium, einem kombinierten , der Herzinfarkt oder Todesfälle infolge anderer Arten von Herzversagen (kardiale ) umfasst, deuten die Ergebnisse einen Nachteil der AK-Stents an. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen Hinweis, sondern um einen Anhaltspunkt.

Wirkprinzip der AK-Stents steht in Frage

Der Hersteller der AK-Stents wirbt damit, dass man mit seinem Produkt früher auf die Gabe von Clopidogrel verzichten könne. Das kann gerade bei Patienten, denen eine Operation bevorsteht, von Bedeutung sein - erhöhen Plättchenhemmer doch das Blutungsrisiko. Zudem sollen die AK-Stents gerade in den primär betroffenen Gefäßen Restenosen verhindern können.

"Wenn das zuträfe, müsste die Rate der Revaskularisationen in diesen Gefäßen geringer sein. Die TRIAS-HR-Studie legt jedoch das Gegenteil nahe. Und damit steht das Wirkprinzip der AK-Stents infrage", kommentiert IQWiG-Leiter Jürgen Windeler die Ergebnisse des Berichts. Es sei auch nicht auszuschließen, dass der Nachteil der AK-Stents, den man in den Studien sieht, auf das frühere Absetzen von Clopidogrel zurückzuführen ist.

"Das Beispiel AK-Stents zeigt deshalb einmal mehr, dass es nicht allein auf das Medizinprodukt, sondern auf die Umstände seiner Anwendung ankommt. Man muss also nicht allein das ‚Produkt', sondern auch seine Anwendung in den Blick nehmen, wenn man gesicherte Erkenntnisse über den haben will", so Windeler.

Nutzen-Studien zu Medizinprodukten sind machbar und notwendig

Anders als Hersteller von Medizinprodukten vielfach behaupten, sind solche Nutzen-Studien auch machbar. "Wer die Sicherheit der Patienten ernst nimmt, muss auf solchen Studien bestehen. Die AK-Stents wurden über viele Jahre eingesetzt, ohne dass wir wissen, bei wie vielen Patienten das der Fall war. Aber erst jetzt erfahren wir, dass ihr Schaden den überwiegt", sagt Jürgen Windeler.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt, den in einem beschleunigten Verfahren, als sogenannten zu erarbeiten. Im Unterschied zum sonst üblichen Prozedere werden hier keine Vorberichte veröffentlicht. Zwar wird eine Vorversion des Berichts extern begutachtet, es entfällt aber die , bei der alle Interessierten Stellungnahmen abgeben können.

Der erste (Version 1.0) wurde Mitte August 2012 erstellt und an den Auftraggeber versandt. Kurz danach erhielt das Institut weitere, bislang unveröffentlichte Daten zur maßgeblichen Studie TRIAS-HR, die das Institut bei der verantwortlichen Amsterdamer Studiengruppe angefordert hatte (Gesamtrate Herzinfarkte und Revaskularisationen). Daraufhin wurde der überarbeitet und in der Version 1.1 Anfang September 2012 an den geschickt.

Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Berichts gibt folgende KURZFASSUNG.

Kontakt: Tel. 0221-35685-0, info@iqwig.de

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