Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten

4. Januar 2021

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Der Gesetzentwurf stellt aus Sicht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen eine sinnvolle und konsequente Weiterentwicklung der Krebsregistrierung in Deutschland dar. Die Zusammenführung von Daten aus den Krebsregistern sowie die damit beabsichtigte Entwicklung einer qualitativ hochwertigen Dateninfrastruktur sind zu begrüßen. Insbesondere im Hinblick auf einen Aspekt aus der Gesetzesbegründung ergeben sich Berührungspunkte zum gesetzlichen Auftrag des Instituts: Perspektivisch sollen die aus den epidemiologischen und klinischen Krebsregistern im Zentrum für Krebsregisterdaten beim Robert Koch-Institut (ZfKD) zusammengeführten Daten „… zur Wirksamkeits- und Nutzenbewertung von Behandlungsmaßnahmen und Therapieregimes, insbesondere unter den Bedingungen der Routineversorgung (Versorgungsforschung), genutzt werden [können].“ Im Folgenden heißt es weiter: „…. können Krebsregisterdaten perspektivisch etwa auch im Rahmen anwendungsbegleitender Datenerhebungen und Auswertungen zum Zweck der Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genutzt werden“.

Für die Eignung der Krebsregisterdaten zu diesem Zweck sind aus Sicht des IQWiG zusätzliche Anpassungen erforderlich, die parallel zu oder als Teil der geplanten Konzeptentwicklung zur Datenzusammenführung umgesetzt werden sollten:

  • Der Datensatz sollte anlässlich eines Forschungsvorhabens (z. B. vergleichende Registerstudie zur medikamentösen Behandlung, Studien zu Screeningprogrammen) temporär um dafür erforderliche Felder erweitert werden können; diese anlassbezogene Erweiterbarkeit stellt auch ein international anerkanntes Qualitätskriterium für Register dar [1]; sie kann sich je nach Forschungsvorhaben auch auf ausgewählte Zentren, Versorgungsebenen oder Regionen beschränken. Damit wären die gegebenenfalls auch eine geeignete Plattform für eine anwendungsbegleitende Datenerhebung gemäß §35a SGB V Abs. 3b für Onkologie-Arzneimittel, die Datenerhebung könnte dadurch bereits ohne Verzögerung beim Marktzugang beginnen.
  • Die anwendungsbegleitende Datenerhebung gemäß §35a SGB V Abs. 3b ist für Arzneimittel vorgesehen, die ein besonderes Zulassungsverfahren durchlaufen haben, z. B. eine bedingte Zulassung, oder Arzneimittel, die zur Behandlung eines seltenen Leidens nach der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 zugelassen sind. Kennzeichnend für solche Arzneimittel ist einerseits, dass die Datengrundlage für die Zulassung in der Regel eingeschränkt ist und dass die Zulassung häufig für kleinere Patientinnen- und Patientengruppen erfolgt. In der Onkologie betrifft dies oft sogenannte zielgerichtete Therapien, die auf eine bestimmte genetische Eigenschaft eines Tumors abzielen. Um sinnvolle Aussagen zu Prognose und gegebenenfalls therapeutischen treffen zu können, ist es unerlässlich, dass auch solche Merkmale erfasst werden. Dies ist aber gegenwärtig nicht im Basisdatensatz der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) und der Gesellschaft für in Deutschland (GEKID) vorgesehen, ebenfalls nicht in den ergänzenden Modulen der ADT und der GEKID. Insofern bedingt dies umso mehr die Notwendigkeit einer temporären oder auf ausgewählte Zentren, Versorgungsebenen oder Regionen beschränkte Erweiterbarkeit des Datensatzes.
  • Die entstehende Dateninfrastruktur sollte für interventionelle Studien mit oder ohne nutzbar gemacht werden; gerade die aktuelle Pandemie zeigt, dass randomisierte Studien innerhalb einer bestehenden Dateninfrastruktur eine sehr effiziente Methode für die Evidenzgewinnung darstellen, z.B. die RECOVERY-Studie zu Dexamethason im Vereinigten Königreich [2]; solche registerbasierten interventionellen Studien sind auch in anderen Ländern mit bestehender Dateninfrastruktur schon länger etabliert und äußerst kostengünstig (siehe z. B. [3]).
  • Bei der Arzneimitteltherapie bleiben nach der Zulassung der einzelnen Medikamente oft wichtige Fragen offen. Im Bereich der Onkologie liegen z. B. zu den verschiedenen neuen Wirkstoffen in der Regel keine Studien vor, die diese neuen Wirkstoffe untereinander vergleichen. Für solche Fragestellungen sind registerbasierte RCTs (Randomized Controlled Trials) ideal. Deren Durchführung als unabhängige Studien scheitert nach unserer Erfahrung auf Basis von Diskussionen mit Fachgesellschaften und Registerbetreibern bereits an der Finanzierung der Arzneimittel. Denn obwohl diese Wirkstoffe im Rahmen der GKV-Versorgung erstattet werden, wäre die Erstattung im Rahmen einer registerbasierten RCT nicht gedeckt. Wir empfehlen daher, für solche Studien ein Antragsverfahren beim analog des Verfahrens zur Kostenübernahme der Arzneimittel bei Studien zur Off-Label-Therapie in §35c SGB V einzurichten. Der sollte dann u.a. anhand der Kriterien Relevanz der Forschungsfrage und Eignung der geplanten Studie zur Evidenzgenerierung (Design, Umfang, Qualität) über die Kostenübernahme entscheiden.

Referenzen

[1] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Konzepte zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V; Auftrag A19-43; Stand: 25.07.2020A19-43
[2] Lane HC, Fauci AS. Research in the Context of a Pandemic. N Engl J Med 2020; Jul 17; NEJMe2024638. doi: 10.1056/NEJMe2024638
[3] Fröbert O, Lagerqvist B, Olivecrona GK et al. Thrombus aspiration during ST-segment elevation myocardial infarction. N Engl J Med 2013; 369: 1587–1597