Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG)

31.07.2023

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Mit dem als Referentenentwurf vorliegenden Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) plant das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unter anderem, die existierenden Regelungen zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu erweitern. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nimmt zu diesem Aspekt des DigiG wie folgt Stellung.

Schwächen der derzeitigen DiGA-Bewertung

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die existierende DiGA-Bewertung nach § 139e SGB V in modifizierter Form auch auf digitale Medizinprodukte der Risikoklasse IIb ausgeweitet wird. Software der Risikoklasse IIb ist darüber definiert, dass bei Fehlern eine „schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands“ droht. Es ist daher wichtig zu prüfen, wie gut die seit 3 Jahren eingeführte Bewertung von Niedrigrisiko-DiGA funktioniert, bevor man diese auf den Hochrisiko-Bereich erweitert. Hier zeigen sich einige Schwachpunkte:

  • Unzureichende Evidenzbasierung: Nach der aktuellen Regelung im § 139e SGB V können auch solche DiGA allgemein angewendet werden, für die „der Nachweis positiver Versorgungseffekte […] noch nicht möglich“ war. Dass diese Erprobungsregelung gemäß DigiG nicht auch auf DiGA der Risikoklasse IIb erweitert werden soll, ist sinnvoll und wichtig. Allerdings entspricht auch der derzeitige Nachweis positiver Versorgungseffekte zum Teil nicht den Ansprüchen, die sonst an die Evidenzbasis für erstattungsfähige GKV-Leistungen gestellt werden. So zeigen systematische Analysen der zu DiGA akzeptierten oder für die Erprobung geplanten klinischen Studien relevante Schwächen. Beispielsweise weisen die Studien oft nur sehr kurze Nachbeobachtungszeiten und hohe Datenunvollständigkeiten sowie teilweise irrelevante Endpunkte auf.1
  • Intransparente Entscheidungsgrundlagen: Im Vergleich zu anderen Bewertungs-
    prozessen im Gesundheitswesen (z. B. AMNOG-Bewertung nach §35a SGB V für neue Wirkstoffe oder Methodenbewertung nach §135 oder §137c SGB V) ist die Nachvollziehbarkeit der DiGA-Bewertungen deutlich schlechter. Insbesondere sind zentrale Studienergebnisse oft nicht ausreichend verfügbar, da sie nur als Zusammenfassung veröffentlicht werden.2 Weder der Herstellerantrag inklusive einer ausführlichen Darstellung der Studienergebnisse und -methodik noch der Bewertungsbericht werden veröffentlicht und liegen daher der (Fach-)Öffentlichkeit nicht vor.
  • Fehlender Einbezug wesentlicher Akteure: Da die DiGA-Bewertung außerhalb der Gemeinsamen Selbstverwaltung und ohne öffentliches Stellungnahmeverfahren erfolgt, ist es wesentlichen Akteuren aus der Selbstverwaltung, Betroffenen und Selbsthilfegruppen, der Ärzteschaft sowie der Wissenschaft nicht möglich, wichtige Argumente in den Bewertungsprozess einzubringen.
  • Preisgestaltung: Die von den Herstellern initial frei festlegbaren Preise für eine 90-tägige DiGA-Nutzung durch eine versicherte Person liegen derzeit bei etwa 500 Euro.3 Bei einem solchen Betrag stellt sich die Frage der Wirtschaftlichkeit, wenn man die oft nur kurzzeitige Nutzung und den nicht quantifizierten zusätzlichen einer DiGA bedenkt.4

Insgesamt ist das derzeitige Fast-Track-Verfahren zur Bewertung von DiGA verbesserungswürdig und sollte daher nicht oder nur in nachgebesserter Form auf Medizinprodukte der Risikoklasse IIb ausdehnt werden.

Lösungsvorschlag: Reguläre Nutzenbewertung im Nachgang zur Fast-Track-Bewertung

Um die oben genannten Probleme zu beseitigen, schlägt das IQWiG vor, dass ausgewählte DiGAs sich nach Absolvieren des Fast-Track-Verfahrens mit etwas zeitlichem Abstand einer regulären Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) analog zum AMNOG-Verfahren stellen müssen. Das gegenwärtige Verfahren nach § 139e SGB V erfolgt bewusst mit sehr kurzen Fristen. Es wäre wichtig, bestimmte DiGAs – analog zur Bewertung von neuen Medikamenten, Behandlungsmethoden oder auch Hilfsmitteln – einer regulären Nutzenbewertung nach den üblichen Standards zu unterziehen. Hiermit könnten ein Nachweis des zusätzlichen Nutzens der DiGA, volle Transparenz für DiGA-Anwender und eine Beteiligung aller wesentlichen Akteure erreicht werden. Durch eine Quantifizierung des DiGA-Zusatznutzens (z. B. analog zum AMNOG), die initial nicht erfolgt, könnte im Nachgang auch eine dem angemessene Preisbildung ermöglicht werden.

Vorgeschlagen wird daher eine reguläre Nutzenbewertung regelhaft 2 Jahre nach Aufnahme einer DiGA in das DiGA-Verzeichnis. Diese Bewertung sollte analog zum bewährten AMNOG-Verfahren dossierbasiert erfolgen, sodass binnen 6 Monaten (3 Monate Bewertung durch das IQWiG, 3 Monate Beschlussfassung inklusive durch den G-BA) ein Richtlinienbeschluss vorliegt.5,6 Sofern der Aufwand einer regulären, nachgeordneten DiGA-Nutzenbewertung begrenzt werden soll, kann dieser Vorgang beschränkt werden auf

  • DiGA der Risikoklasse IIb und
  • DiGA mit initial nur vorläufiger Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis.

Darüber hinaus könnte analog zum AMNOG ein Antragsverfahren beim etabliert werden, mit dem den DiGA-Herstellern eine Freistellung von der regulären Nutzenbewertung bei geringer Verschreibungshäufigkeit und Vergütungssumme ermöglicht wird.

1 Kolominsky-Rabas PL, Tauscher M, Gerlach R, Perleth M, Dietzel N. Wie belastbar sind Studien der aktuell dauerhaft aufgenommenen digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)? Methodische Qualität der Studien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte von DiGA. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2022; 175: 1-16. doi: 10.1016/j.zefq.2022.09.008.

2 Mäder M, Timpel P, Schönfelder T, Militzer-Horstmann C, Scheibe S, Heinrich R, Häckl D. Evidence require-ments of permanently listed digital health applications (DiGA) and their implementation in the German DiGA directory: an analysis. BMC Health Serv Res 2023; 23(1): 369. doi: 10.1186/s12913-023-09287-w.

3 GKV-Spitzenverband (2022) Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf.

4 Gensorowsky D, Witte J, Batram M, Greiner W. Market access and value-based pricing of digital health applications in Germany. Cost Eff Resour Alloc 2022; 20(1): 25. doi: 10.1186/s12962-022-00359-y.

5 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG). Bundesgesetzbl 2010; 67: 2262-2278.

6 Angelescu K, Sauerland S: Mobile Gesundheitsanwendungen: Welche Evidenz ist nötig? Dtsch Arztebl 2019; 116(21): A-1057 https://www.aerzteblatt.de/archiv/207821/Mobile-Gesundheitsanwendungen-Welche-Evidenz-ist-noetig.