Stellungnahme des IQWiG zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für eine Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen der Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung – DiGA)

17. Februar 2020

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Die Prüfung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) erfordert ein effizientes Verfahren und angemessene Bewertungskriterien. Mit der DiGAV wird hierfür ein geeigneter rechtlicher Rah-men definiert. Weil die DiGAV die Arbeit des IQWiG nicht direkt berührt, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Bewertung positiver Versorgungseffekte. Denn aus rechtli-cher und wissenschaftlicher Sicht sollte die Bewertung von DiGA nicht im Widerspruch zur Nutzenbewertung anderer medizinischer Leistungen stehen. Das IQWiG unterstützt die Vorgaben der DiGAV in sehr weiten Teilen. Insbesondere wird vom IQWiG begrüßt,

  • dass patientenrelevanter medizinischer klar von Verfahrens- und Strukturver-besserungen abgegrenzt wird,
  • dass vergleichende Studien, wenn auch nicht notwendigerweise randomisiert kontrol-lierte Studien (RCTs), für den Nachweis positiver Versorgungseffekte gefordert werdenund
  • dass über eine Pflicht zur Veröffentlichung der Studienergebnisse eine Transparenz imSinne aller Versicherten und Leistungserbringer angestrebt wird.

Anmerkung zu §11, Absatz 2

Es ist sinnvoll und wichtig, dass hier festgelegt wird, dass „Gesundheitsinformationen dem allgemein anerkannten fachlichen Standard entsprechen“ müssen. Die Begründung hierzu enthält jedoch nur einzelne Aspekte eines solchen Standards. Es wäre sehr sinnvoll, auf die „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ hinzuweisen (Hrsg.: Deutsches Netzwerk evidenzba-sierte Medizin, 2015; https://www.ebm-netzwerk.de/de/medien/pdf/gpgi_2_20160721.pdf). Denn dieses allgemein akzeptierte Papier enthält weitere wichtige Kriterien, z. B. verständliche Darstellung von Zahlen und Effekten, Umgang mit Unsicherheit, Berücksichtigung von Alters- und Geschlechtsunterschieden, Nennung der Verfasser, Angaben zu Datum und Aktualisie-rung, etc. Daher kann der Nachweis, dass eine DiGA die Standards von „Gute Praxis Gesund-heitsinformation“ erfüllt, auch als ein Zertifikat im Sinne von §13 anerkannt werden.

Änderungsvorschlag zu §14, Absatz 2:

Der medizinische im Sinne dieser Verordnung ist der patientenrelevante therapeutische insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität.

Begründung: wird hier gleichlautend zu §2 Absatz 3 AM-NutzenV definiert, was sinn-voll ist. Die für Arzneimittel passende Eingrenzung auf therapeutische Effekte übersieht aber, dass DiGA auch diagnostische Interventionen sein können. Diagnostik kann neben therapie-vermittelten indirekten auch direkte patientenrelevante Effekte haben. Beispielsweise könnte eine diagnostische DiGA eine konventionelle Diagnostik ersetzen, die schmerzhaft ist.

Änderungsvorschlag zu §16, Absatz 1:

Der Hersteller führt den Nachweis für nach § 15 Absatz 1 angegebene positive Versorgungseffekte mittels einer vergleichenden Studie, welche belegt, dass die Intervention gegenüber dem medizinischen Versorgungsstandard ohne Anwendung der Nichtanwendung der digitalen Gesundheitsanwendung überlegen ist.

Begründung: Eine DiGA kann den aktuellen Versorgungsstandard ergänzen, aber auch Teile des aktuellen Standards ersetzen. Wenn in einer Studie die Anwendung „gegenüber der Nichtanwendung der digitalen Gesundheitsanwendung“ verglichen wird, so bezieht sich dies nur auf den ergänzenden Einsatz einer DiGA. Der Bezug auf den Versorgungsstandard als Komparator erlaubt es, dass als Intervention sowohl die den Standard ergänzende als auch die den Standard partiell ersetzende DiGA in Betracht kommt.

Anmerkung zu §16, Absatz 1

Die Verordnung enthält auch in ihrer Begründung keine weiteren Vorgaben zur Qualität oder Aussagesicherheit der geforderten vergleichenden Studien. Damit ergibt sich das , dass auch mit kaum aussagekräftigen Vergleichsstudien (z. B. Anwender versus Nicht-Anwender einer DiGA) die Vorteile einer DiGA „belegt“ werden. Um dem BfArM für seinen Leitfaden einen Rahmen vorzugeben, sollte in der Gesetzesbegründung auf die erforderliche Aussagesicher-heit der Studien hingewiesen werden. Beispielsweise sollte man auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung von Störvariablen („Confounder-Adjustierung“) hinweisen.

Ferner wäre es hilfreich, wenn für den Nachweis von medizinischem aussagekräftigere Studien verlangt würden als für den Nachweis von patientenrelevanten Verfahrens- und Struk-turverbesserungen. Denn Interventionen, die einen medizinischen haben sollen, bieten regelhaft auch ein Schadenspotenzial, sodass hier eine höhere Qualität der Studien angemes-sen ist.

Änderungsvorschlag zu §16, Absatz 3:

Die Studienergebnisse zu den Studien nach Absatz 1 sind von dem Hersteller bei Studienbeginn in einem öffentlich zugänglichen Studienregister zu registrieren und binnen 12 Monaten nach Studienabschluss mit den Ergebnissen vollumfänglich im Internet zu veröffentlichen.

Begründung: Die weltweiten Erfahrungen mit klinischen Studien zeigen, dass Studienergeb-nisse oft nur sehr verzögert oder gar nicht veröffentlicht werden. Insbesondere negative Er-gebnisse bleiben oft unpubliziert, was zu falschen Bewertungen von Interventionen führt und für Patientinnen und Patienten gesundheitsschädigend sein kann. Das in der Begründung zur Verordnung genannte Ziel, „dass auch negative Ergebnisse veröffentlicht werden“, lässt sich nur erreichen, wenn erstens eine prospektive Studienregistrierung und zweitens eine Frist für die Veröffentlichung vorgegeben wird. Die vorgeschlagene Frist von 12 Monaten entspricht den internationalen Standards für klinische Studien.

Änderungsvorschlag zu §17, Absatz 1:

Stellt eine digitale Gesundheitsanwendung ein diagnostisches Instrument dar oder enthält ein solches neben anderen Funktionen, so hat der Hersteller zusätzlich zu den Nachweisen nach § 16 mittels einer Studie zu belegen, dass die und Spezifizität der digitalen Gesundheitsanwendung im Hinblick auf die angegebene Patienten-gruppe nach § 15 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 3 derjenigen vergleichbarer und etablierter diagnostischer Instrumente nicht nachsteht zu messen.

Begründung: Die geplante Regelung passt allein auf diagnostische DiGA, die etablierte, nicht-digitale Diagnostikinstrumente ersetzen sollen. Eine diagnostische DiGA, die einen gänzlich neuen Test umfasst, könnte die geplanten Anforderungen nicht erfüllen, weil hier der etablierte diagnostische Test als Vergleich nicht vorhanden ist. Daher sollte dieser Komparator entfallen.

Auch können diagnostische DiGA im Vergleich zur konventionellen Diagnostik oft schneller, häufiger oder einfacher eingesetzt werden, was es rechtfertigen kann, für die DiGA eine ge-ringere Testgüte zu akzeptieren. Die notwendige Abwägung zwischen Testgüte, medizini-schem und patientenrelevanten Verfahrens- und Strukturverbesserungen sollte im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach §18 erfolgen.

Köln, 17. Februar 2020