Positionspapier „Evidenzbasierung und Leichte/Einfache Sprache“ des Fachbereichs „Barrierefreie Gesundheitskommunikation“ im Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz e. V. (DNGK). Stellungnahme vom 15.07.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Konsultationsfassung vom 04.06.2024

15.07.2024

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Das IQWiG begrüßt die Initiative des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz e. V. DNGK, sich im Rahmen eines Positionspapiers mit der Passung des Konzeptes „Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen“ auf die Konzepte „Leichte Sprache“ und „Einfache Sprache“ zu befassen und im Hinblick darauf für die Erstellung von Gesundheitsinformationen Orientierung zu geben.

Im Folgenden unsere Kommentare zur vorliegenden Konsultationsfassung:

S. 3 „1 Einstieg: Rahmen des Positionspapiers“, Absatz 4:

„Das Positionspapier gibt keine Empfehlungen für oder gegen einzelne Regeln der Leichte oder Einfachen Sprache. Diese Rolle übernehmen Dokumente wie die DIN SPEC 33429.“

Der Hinweis auf die Rolle der Normen ist hier sehr sinnvoll. Es sollte ergänzt werden, dass sich die DIN SPEC 33429 auf Leichte Sprache bezieht. Da sich das Positionspapier mit Leichter und Einfacher Sprache beschäftigt, ist es wichtig, die Normen zur Einfachen Sprache zu ergänzen, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurden (hier und bei den Quellenangaben):

  • DIN ISO 24495-1:2024-03, Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien
  • DIN 8581-1:2024-05, Einfache Sprache – Anwendung für das Deutsche – Teil 1: Sprachspezifische Festlegungen

Die Regeln der bereits veröffentlichten Normen zur Einfachen Sprache sollten auch dem Positionspapier zugrunde gelegt werden.

S. 7, „3.4 Alle empfohlenen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten darlegen“:

In diesem Abschnitt ist es aus unserer Sicht sinnvoll, zwischen Einfacher und Leichter Sprache zu differenzieren:

  • Einfache Sprache wird bereits in der evidenzbasierte Gesundheitsinformation gefordert. In ihr lassen sich alle Aspekte der empfohlenen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten darlegen, die für eine informierte Entscheidung von Bedeutung sind, vgl. auch Ausführungen des Positionspapiers „Evidenzbasierung und Leichte/Einfache Sprache“ auf S. 8 unten: „Die Einfache Sprache erlaubt einen umfangreicheren Umgang mit Zahlen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten. Da die Zielgruppen breiter gestreut sind, sind die vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse aus der Experte-Laie-Kommunikation anwendbar.“
  • Leichte Sprache geht im Gegensatz zu Einfacher Sprache zwangsläufig mit einer Reduktion der Inhalte einher (vgl. Normentwurf Leichte Sprache: „Deutsche Leichte Sprache ist eine vereinfachte Form der deutschen Sprache. Sie ist sprachlich und inhaltlich vereinfacht […]“, S. 8), daher weichen die Inhalte von Texten in Leichter und Einfacher Sprache meist voneinander ab.

Welche Inhalte bei evidenzbasierten Gesundheitsinformationen in Leichter Sprache verzichtbar sind und wie genau die erforderlichen Inhalte angemessen in Leichte Sprache übertragen werden, ist eine zentrale Frage, die unseres Erachtens noch der Klärung bedarf. Auch im Hinblick darauf, dass Texte häufig durch externe Dienstleister in Leichte Sprache übertragen werden, bei denen keine Expertise im Hinblick auf Evidenzbasierung, Patientenzentrierung und Shared Decision Making vorausgesetzt werden kann.

S. 7, „3.4 Alle empfohlenen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten darlegen“, Absatz 3:

„Eine verlässliche Informationsquelle kann auch ein Text in Standardsprache sein. Dann ist ein orientierender Hinweis darauf wünschenswert: „Dieser Text ist nicht in Leichter Sprache“ oder „Dieser Text ist nicht in Einfacher Sprache“.

Ein solcher Hinweis ist bei Leichter Sprache üblich und sinnvoll, sollte bei Einfacher Sprache aus unserer Sicht jedoch unterbleiben. Texte in Einfacher Sprache machen Informationen für ein allgemeines Lesepublikum verständlich (vgl. DIN 8581-1:202405, S. 5) und sollen gleich beim ersten Lesen verständlich sein (Was ist einfache Sprache? - Plain Language Association International (PLAIN) (plainlanguagenetwork.org)). Allgemeinverständliche Texte mit „Einfache Sprache“ kenntlich zu machen, könnte hier kontraproduktiv sein und zu Akzeptanzproblemen führen. Daher sollte auch bei einem Verweis auf andere Texte kein entsprechender Hinweis erfolgen.

S. 7, „3.6 Patientenrelevante Endpunkte darstellen“, Absatz 1:

„Auch Informationen in Leichter und Einfacher Sprache stellen patientenrelevante Endpunkte dar.“

Dieser Satz ist missverständlich und wir schlagen daher eine Umformulierung vor, etwa:

„Auch Informationen in Leichter und Einfacher Sprache beschreiben patientenrelevante Endpunkte.“

S. 7: „3.6 Patientenrelevante Endpunkte darstellen“, Absatz 1 und 2:

und Schaden werden also anhand von Effekten auf die Sterblichkeit, und Lebensqualität dargestellt, nicht etwa anhand von abstrakteren Laborergebnissen. Liegt keine wissenschaftliche Erkenntnis zu den patientenrelevanten Endpunkten vor, so sollte dies als Unsicherheit benannt werden.

Diese Vorgehensweise entspricht dem Leichte-Sprache-Prinzip der Proximität, also der „maximalen Nähe zum Leser“ (Bredel/Maaß 2016a: 516). Nähe zur Leser*in erhöht u. a. die Lesemotivation, weil so die Relevanz der Gesundheitsinformation hervorgehoben wird. Dies erhöht die Stimulanz des Textes, und so schließlich das Interesse am Text (vgl. z. B. Langer et al. 2011, Groeben 1976).“

Die Darstellung von und Schaden anhand von patientenrelevanten Endpunkten sowie Unsicherheit ist zentral für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen und es ist hilfreich, dass die Bedeutung dieser Punkte im Positionspapier so deutlich benannt wird. Auch die Lesemotivation und die Nähe zu Leserinnen und Lesern sind wichtige Punkte. Allerdings entspricht beides nicht einander:

  • Die Darstellung von patientenrelevanten Endpunkten ist im Hinblick auf die wichtig – nur so können Leserinnen und Leser einschätzen, wie wahrscheinlich es laut aktuellem Stand der Forschung ist, dass zum Beispiel eine bestimmte Behandlung bei einer Erkrankung die Schmerzen lindert.
  • Gleichzeitig ist es äußerst wichtig, die Informationen so zu strukturieren, dass sie den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser entsprechen und Nähe herstellen, d. h. an ihre Lebenswelt anknüpfen und sie zum Handeln befähigen. Dies kann in Gesundheitsinformationen neben der sprachlichen Gestaltung beispielsweise dadurch geschehen, dass auch auf praktische Fragen eingegangen wird, zum Beispiel: Wer ist bei Erkrankung x die richtige Ansprechperson für mich?

Beide Aspekte sind sehr bedeutsam, sollten jedoch nicht miteinander vermengt werden.

S. 8, „3.7 Zahlen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten verständlich kommunizieren“, Absatz 2:

„Für die Zielgruppen der Leichten Sprache liegen keine wissenschaftlichen Ergebnisse vor (für eine Übersicht über nutzbare Studien s. Günther 2023: XVII-XX). In der Leichten Sprache wird im Allgemeinen empfohlen, Zahlen zu vermeiden und stattdessen Vergleiche und ungenaue Angaben zu nutzen. In evidenzbasierten Gesundheitsinformationen kann die Kommunikation von Zahlen und Wahrscheinlichkeiten aber dabei helfen, Erkrankungsrisiken zu verstehen und damit die gemeinsame Entscheidungsfindung unterstützen.“

Hier wird auf eine Forschungslücke im Bereich der Kommunikation von Zahlen und Risiken in Leichter Sprache hingewiesen. Wünschenswert wäre eine Orientierungshilfe, wie in Anbetracht dieser Forschungslücke derzeit ein sinnvoller Umgang mit Zahlen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten in evidenzbasierten Gesundheitsinformationen in Leichter Sprache aussehen kann.

S. 11, „3.12.2 Ansprache“, Absatz 1:

„Um dennoch die gendersensible Ansprache zu berücksichtigen, kann der Advance Organiser einen Hinweis enthalten, z. B. „Dieser Text enthält nur die männliche Form. Wir meinen aber immer alle Menschen.“

In Einfacher Sprache lassen sich genderneutrale Formulierungen fast immer finden, zum Beispiel mit geschickten Formulierungen („Menschen“, „alle“, „wer“, „Fachleute“, „Person“, „Teilnehmende“) oder einer Satzumformulierung, etwa „ärztlicher Rat“ statt „Rat einer Ärztin oder eines Arztes“. Hier ist aus unserer Sicht das generische Maskulinum – auch mit einem Disclaimer wie „… sind mitgemeint“ – möglichst zu vermeiden. Stattdessen könnte auf Handreichungen für eine genderneutrale Sprache hingewiesen werden, z. B. genderleicht.de und geschicktgendern.de.

S. 12, „3.12.5 Umfang“, Absatz 1:

„Bei der Übersetzung in Einfache Sprache ist es möglich, aber je nach Kommunikationssituation nicht immer sinnvoll, alle Informationen eines Standardtextes auch in den Einfache-Sprache-Text zu übertragen.“

Der Leserperspektive sollte hier Hinblick auf die Auswahl der Inhalte ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Wir schlagen daher folgende Formulierung vor:

„Es ist möglich, alle Informationen eines Standardtextes in einen Einfache-Sprache-Text zu übertragen. Ob dies sinnvoll ist, hängt von der Kommunikationssituation ab und davon, ob alle Informationen für die Leserinnen und Leser relevant und hilfreich sind.“

S. 12, „3.12.6 Prüfgruppe“:

Gesundheitsinformationen sollen nicht nur verständlich und ansprechend, sondern für Leserinnen und Leser auch relevant und nützlich sein und zum Beispiel eine informierte Entscheidung unterstützen. Daher regen wir an, bei der Aufzählung der zu prüfenden Aspekte Begriffe wie „Relevanz“ und „Anwendbarkeit“ oder Ähnliches zu ergänzen.

S. 13, „3.2.18 Bilder und Visualisierungen“, Absatz 2:

„Zu vermeiden sind Bilder mit rein dekorativer Funktion, da diese vom Textinhalt ablenken (Bredel/Maaß 2016a: 275), aber auch, und Symbole, deren Bedeutung erlernt sein muss (Bredel/Maaß 2016a: 276).“

Bilder können vom Text ablenken. Gleichzeitig können sie das Gegenteil bewirken, wenn sie gut gewählt sind: Sie können Texte attraktiver machen und so dazu führen, dass eine Person überhaupt gewillt ist, sich mit Informationen auseinanderzusetzen, die es bei rein textbasierten Informationen vielleicht nicht wäre. In einer qualitativen Bedarfsanalyse zu Gesundheitsinformationen zeigte sich zudem, dass vermeintlich rein dekorative Fotos häufig durchaus eine Funktion haben: Leserinnen und Leser reagieren zum Beispiel sehr sensibel darauf, ob die abgebildeten Personen tatsächlich die dargestellte Erkrankung haben könnten oder ob sie dafür etwa zu jung sind. Fotos werden hier zu einer Projektionsfläche und können darüber entscheiden, ob Leserinnen und Leser sich mit einem Text „gemeint“ fühlen oder nicht.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir folgende Formulierung vor:

„Zu vermeiden sind Bilder, die nicht zum Textinhalt oder der Zielgruppe des Textes passen.“

Der letzte oben zitierte Satzteil scheint unvollständig zu sein.

S. 13, „3.2.18 Bilder und Visualisierungen“, letzter Absatz:

„Bilder und Visualisierungen sollen sparsam genutzt und entsprechend ihrer intendierten Funktion und Zielgruppe gewählt werden (Bredel/Maaß 20161:295f.).“

Es ist wichtig, Bilder und Visualisierungen entsprechend ihrer intendierten Funktion und Zielgruppe auszuwählen. Es überrascht jedoch, das hier empfohlen wird, sie nur sparsam zu nutzen. Visualisierungen sind für das Verständnis, aber auch für die Attraktivität von Informationen sehr sinnvoll – je nach Thema und Zielgruppe durchaus auch in größerer Zahl (z. B. bei Leichte-Sprache-Materialien, aber auch bei praktischen Informationen in Einfacher Sprache, z. B. zur Illustration von Übungen).

Änderungsvorschlag: „sparsam genutzt und“ streichen.

Literatur

DIN ISO 24495-1:2024-03, Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien
DIN 8581-1:2024-05, Einfache Sprache – Anwendung für das Deutsche – Teil 1: Sprachspezifische Festlegungen
Plain Language Association International (PLAIN): Was ist einfache Sprache? [Zugriff 08.07.2024]
Zschorlich B, Wiegard B, Warthun N et al. Health information for hard-to-reach target groups: A qualitative needs assessment. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2023; 179: 8-17. https://doi.org/10.1016/j.zefq.2023.03.012.