Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit Stellungnahme vom 2.7.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Referentenentwurf (Versanddatum 20.6.2024)

02.07.2024

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1 Vorbemerkung

Mit dem vorgelegten Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ soll ein Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) errichtet werden, um die Öffentliche Gesundheit institutionell und inhaltlich zu stärken. Das IQWiG begrüßt diese Zielsetzung.

Das IQWiG nimmt zu dem zugrundeliegenden Referentenentwurf nachfolgend zu Aspekten Stellung, die sich aus den in §139a SGB V definierten Aufgaben des Instituts ableiten oder die aus Sicht des IQWiG von grundlegender Bedeutung für eine sind.

2 Allgemeine Hinweise

Der Entwurf beschreibt in den einführenden Erläuterungen und den nachfolgenden Begründungen eine Vielzahl von weitreichenden Unterzielen und Umsetzungsplänen. Diese weiteren Ziele sind im Entwurf der gesetzlichen Regelungen selbst jedoch nicht konkret formuliert, sodass der Weg zur Umsetzung weitgehend offenbleibt.

Unklar bleibt insbesondere, wie die konkrete Abgrenzung der Zuständigkeiten des zukünftigen BIPAM von denen des Robert-Koch-Instituts (RKI) vorgenommen werden soll. Wir sehen eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen einerseits dem Ziel eines „Health-in-all-Policies“-Ansatzes und anderseits der Abgrenzung der beiden Zuständigkeiten für „nicht übertagbare Krankheiten“ und für „übertragbare und mit ihnen in Zusammenhang stehende nicht übertragbare Krankheiten“.
Um angesichts dieser Abgrenzung einen „Health-in-all-Policies“-Ansatz erfolgreich umzusetzen, wird eine ständige und weitreichende Abstimmung der beiden Institute erforderlich sein, die nach unserer Einschätzung wirksamer innerhalb einer Institution gehandhabt werden kann.

Zudem hat die SARS-CoV-2-Pandemie gezeigt, dass es starke Abhängigkeiten zwischen übertragbaren und nicht übertragbaren Erkrankungen gibt, z. B. weil das individuelle Gesundheitsrisiko durch übertragbare Krankheiten stark von der Anwesenheit nicht übertragbarer Vorerkrankungen abhängt. Die Menschen, die beispielsweise in Deutschland Lebensjahre durch kardiovaskuläre Krankheiten und Krebs verlieren, leben in der Regel mehrere Jahre bis Jahrzehnte mit den Krankheiten, an denen sie schließlich sterben. Eine Umsetzung von Health-in-all-Policies bedeutet, dass für relevante Gruppen und Szenarien übertragbare und nicht übertragbare Krankheiten in ihren Wechselwirkungen und zusammen betrachtet werden sollten.

Sofern die Trennung der Zuständigkeiten des zukünftigen BIPAM von denen des RKI beibehalten wird, sollte die Koordination der notwendigen engen Zusammenarbeit von RKI und BIPAM konkret gesetzlich geregelt werden.

3 Zweck und Aufgaben des BIPAM

Der Zweck des BIPAM ist in §1 Absatz 2 des Entwurfes wie folgt formuliert (Spiegelstriche ergänzt):
„Zweck der Errichtung des Bundesinstituts ist die

  • Zusammenführung und Neuordnung von Maßnahmen und Aktivitäten im Bereich der Öffentlichen Gesundheit im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
  • die freiwillige Vernetzung von Akteuren der Öffentlichen Gesundheit und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes mit weiteren Akteuren,
  • die Stärkung der Kommunikation sowie
  • der Forschung auf dem Gebiet der Öffentlichen Gesundheit.“

Dieser Zweck schlägt sich auf in den in §2 Absatz 2 des Entwurfs formulierten Aufgaben wieder (Zitat):
§2 (2) Das Bundesinstitut nimmt Aufgaben nach Absatz 1 insbesondere auf folgenden Gebieten wahr:
1) Gesundheitsberichterstattung des Bundes, einschließlich Gesundheitsmonitoring,
2) Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, durch freiwillige Kooperation und Vernetzung mit Akteuren der Öffentlichen Gesundheit,
3) evidenzbasierte, zielgruppenspezifische, insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Kommunikation im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
4) Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten, Stärkung der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, jeweils im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes,
5) wissenschaftliche Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene, einschließlich Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien und Standards, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt.

3.1 Vernetzung der Akteure

Auf Grundlage seiner in §139 SGB V formulierten gesetzlichen Aufgaben gehört das IQWiG zu den angesprochenen „weiteren Akteuren“. Große Teile der Arbeit des IQWiG fassen die aktuelle zur Diagnose und Therapie von übertragbaren und nicht-übertragbaren Erkrankungen zusammen, zum Beispiel in Form von Nutzenbewertungen, Leitliniensynopsen und Evidenzrecherchen. Zudem stellt das IQWiG evidenzbasierte, allgemeinverständliche Gesundheitsinformationen und Entscheidungshilfen zu einem umfassenden Katalog von Erkrankungen zur Verfügung.
Diese Arbeit ist schon jetzt von hoher Relevanz für die Öffentliche Gesundheit und sollte regelhaft für die Ziele des BIPAM genutzt werden. Das IQWiG unterstützt deshalb die Idee der Vernetzung. Wir gehen jedoch davon aus, dass der im Entwurf formulierte Ansatz der „Freiwilligkeit“ nicht ausreicht, um die formulierten Ziele zu erreichen, weil die „weiteren Akteure“ – auch wenn sie die Ziele unterstützen – zwangsläufig in ihrem Engagement begrenzt bleiben müssen.
Das Gesetz sollte wesentliche „weitere Akteure“ benennen. Die Erwartungen an die Akteure und die Aufwände der Akteure sollten untere „Weitere Kosten“ geschätzt und angegeben werden.

3.2 Weitere mögliche Aufgaben des BIPAM

Neben den im Gesetzesentwurf beschriebenen Aufgaben wäre die Verantwortung für eine gemeinwohlorientierte Forschungsagenda zum Beispiel im Rahmen des vorgesehenen nationalen und internationalen Netzwerks eine relevante und sinnvolle Aufgabe für das BIPAM. Hierbei könnte angedacht werden, dass durch das Bundesinstitut Aufträge zur Forschung zu den Agendapunkten des BIPAM vergeben werden können, wobei diese Forschung auch interventionelle, pragmatische Studien in den von BIPAM mitverantworteten Datenstrukturen umfassen sollte. Als Beispiele für eine solche Forschung in einem typischen Anwendungsfeld des BIPAM kann die RECOVERY-Studie aus UK (Plattform-RCT) zur aufwandsarmen, zeitnahen und ergebnissicheren Erforschung von Therapieoptionen in Krisenzeiten (SARS-CoV2-Pandemie) genannt werden. Ein weiteres Beispiel ist das RECOVER-Programm des National Institute of Health (NIH), das ebenfalls auch interventionelle Studien für den Off-Label-Einsatz von Therapien, hier bei Post-Covid, untersucht. Diese Beispiele zeigen, wie die Behandlung in unbekannten Themenfeldern nicht nur möglich gemacht, sondern mit der Generierung hochwertiger verknüpft werden kann. Damit könnten auch wirksame von nicht wirksamen (Off-Label-)Therapien frühzeitig unterschieden werden, sodass eine zeitnahe Nachsteuerung in der Behandlung und der Studiendurchführung gewährleistet ist.

3.3 Nutzung des Gesundheitspanels durch andere Institutionen

Gemäß der Begründung im Gesetzentwurf sind die ergänzende Generierung, Standardisierung, Digitalisierung, interoperable Verknüpfung und Bereitstellung von Daten eine wesentliche Aufgabe des Bundesinstituts. Dabei ist auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Forschungsdatenzentrum im RKI vorgesehen. Das IQWiG begrüßt den Aufbau eines digitalen Gesundheitspanels zur Erhebung von epidemiologischen Daten. Der Aufbau eines umfangreichen Datenmanagements ist kostenintensiv. Eine Bereitstellung für gemeinwohlorientierte Forschung anderer Institutionen wird daher dringend empfohlen.

4 Evidenzbasierte Regierungs- und Politikberatung

Das BIPAM soll laut Begründung des Gesetzesentwurfs „durch Datenerhebung und -analyse sowie durch eigene sachbezogene Forschung wissenschaftliche Erkenntnisse“ gewinnen, die „in die Ausarbeitung von evidenzbasierten Strategien sowie begleitender Kommunikation in die Öffentlichkeit und in die Evaluation der Maßnahmen“ einfließen. Die dabei gewonnene Expertise soll die „kompetente und sachgerechte Entwicklung von evidenzbasierten Empfehlungen und Handlungsvorschlägen für die Politik sowie für die verschiedenen Akteurinnen und Akteure des ÖGD, des Gesundheitssystems und weiteren Akteurinnen und Akteuren“ ermöglichen.
Für die (a) Datenerhebung und -analyse, die (b) Ausarbeitung evidenzbasierter Strategien, die (c) begleitende Kommunikation, die (d) Evaluation und (e) Entwicklung von evidenzbasierten Empfehlungen und Handlungsvorschlägen sind folgende übergreifende Aspekte essentiell und sollten daher gesetzlich verankert werden:

  • Festlegung der Methoden des BIPAM unter Berücksichtigung internationaler methodischer Standards
  • Wissenschaftliche Unabhängigkeit
  • Transparente Darstellung der Entscheidungsgrundlagen und der Unsicherheiten

Diese Aspekte werden im Folgenden erläutert.

4.1 Festlegung der Methoden des BIPAM unter Berücksichtigung internationaler methodischer Standards

Der Evidenzbasierung der wissenschaftlichen Arbeit, der Kommunikation, der Leitlinienerstellung und der Regierungsberatung sollten die jeweiligen internationalen methodischen Standards zugrunde liegen. Diese Standards sollten in einem Methodenpapier veröffentlicht werden, das regelmäßig aktualisiert und einem öffentlichen Stellungnahmeverfahren unterzogen wird
Diese Verpflichtung sollte gesetzlich verortet werden, zum Beispiel in einem zusätzlichen Paragrafen. Ein Beispiel für eine entsprechende Rahmensetzung gibt §139a SGB V, Absatz 4.

4.2 Wissenschaftliche Unabhängigkeit

Das BIPAM soll der Aufsicht des BMG unterstehen. In der Gesetzesbegründung wird präzisiert, dass dies die Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht umfasst.
Insbesondere für eine evidenzbasierte Regierungsberatung ist es wichtig, dass das BIPAM in seiner Arbeit unabhängig und primär den oben angesprochenen wissenschaftlichen Standards verpflichtet ist. Diese wissenschaftliche Unabhängigkeit sollte gesetzlich verankert werden.

4.3 Transparente Darstellung der Entscheidungsgrundlagen und der Unsicherheiten

Sowohl die methodischen Standards, als auch die Arbeitsergebnisse, Entscheidungsgrundlagen und Empfehlungen sollten in angemessenen Formaten und Fristen veröffentlich werden. Der Erstellungsprozess sollte auf Basis vorab festgelegter Methoden erfolgen und transparent und nachvollziehbar dargelegt werden. Besondere Bedeutung bei der Darstellung der Arbeitsergebnisse und Empfehlungen hat die transparente Darstellung von bestehenden Unsicherheiten und von Maßnahmen zum Umgang mit diesen Unsicherheiten. Bei kurzfristig notwendigen Empfehlungen, die in größerer Unsicherheit getroffen werden müssen, sollten dann zum Bespiel Maßnahmen zur schnellen Behebung der Unsicherheiten verpflichtend vorgeschlagen werden. Das können je nach Situation zum Beispiel interventionelle Studien, Beobachtungsstudien oder Literaturanalysen sein.
Die beschriebene Pflicht zur Transparenz sollte ebenfalls gesetzlich verankert werden. Ein Beispiel für eine entsprechende Rahmensetzung gibt §139a SGB V, Absatz 5.