Früherkennung: Entscheidend ist, die Richtigen zu untersuchen
Für die Früherkennung einer familiären Fettstoffwechselstörung empfiehlt das IQWiG ein Kaskadenscreening, das von betroffenen Angehörigen ausgeht. Generell sollten Check-up-Untersuchungen gezielt angeboten werden.
Nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Oktober 2023 ein erstes Impulspapier zur Frühkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen präsentiert hatte, legte sein Ministerium im Juni 2024 einen Referentenentwurf für ein „Gesundes-Herz-Gesetz“ vor. Im August 2024 wurde daraus ein Kabinettsentwurf, der im November 2024 in 1. Lesung den Bundestag passierte. Wegen des Scheiterns der Regierungskoalition trat das Gesetz jedoch nicht in Kraft.
Das IQWiG veröffentlichte 2024 zwei Rapid Reports im Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz: „Screening zur Früherkennung einer familiären Hypercholesterinämie bei Kindern und Jugendlichen“ und „Zielgruppenspezifische Ansprache von Versicherten bei Gesundheitsuntersuchungen“.
Früherkennung familiärer Fettstoffwechselstörungen
Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersuchte das IQWiG im Jahr 2024 den Nutzen eines generellen Lipidscreenings zur Früherkennung familiärer Hypercholesterinämie bei Kindern und Jugendlichen.
Menschen mit dieser erblich bedingten, angeborenen Fettstoffwechselstörung haben bereits in der Kindheit erhöhte LDL-Cholesterin-Konzentrationen im Blut. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, teilweise schon im jungen Erwachsenenalter. Um das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen zu verringern, können diese Kinder und Jugendlichen bereits frühzeitig mit Statinen, also mit lipidsenkenden Medikamenten, behandelt werden.
Ziel eines generellen Screenings auf familiäre Hypercholesterinämie ist die frühere Identifikation und dann auch Behandlung von betroffenen Kindern. Auf Basis der vorliegenden Studien sieht das IQWiG jedoch keinen Nutzen eines allgemeinen Screenings aller Kinder und Jugendlichen.
Allerdings zeigen die Studiendaten, dass es grundsätzlich sinnvoll ist, Kinder und Jugendliche mit familiärer Hypercholesterinämie und hohem Risiko für frühzeitige Herzinfarkte und Schlaganfälle zu identifizieren. Denn eine rechtzeitige Behandlung mit lipidsenkenden Statinen verringert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in dieser besonders gefährdeten Gruppe. Daher empfiehlt das IQWiG, über die Einführung eines Kaskadenscreenings zu beraten. Dieses geht von Familienmitgliedern aus, bei denen nach einem kardiovaskulären Ereignis oder im Rahmen von Gesundheitsuntersuchungen eine familiäre Hypercholesterinämie diagnostiziert wurde.
Ein Kaskadenscreening wäre absehbar mit weniger unnötigen Untersuchungen und gleichzeitig mit der gezielten Ansprache von Personen mit besonders hohem Krankheitsrisiko verbunden.
Inanspruchnahme der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung
Seit 1989 haben gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf eine regelmäßige Gesundheitsuntersuchung, die von ihrer Krankenkasse bezahlt wird. Bei solchen Check-ups sollen gesundheitliche Risiken und Belastungen frühzeitig erfasst werden. Die Untersuchung dient außerdem der Früherkennung von häufig auftretenden Krankheiten, insbesondere von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie von Diabetes. Versicherte zwischen 18 und 34 Jahren haben einmalig Anspruch auf den Check-up, Versicherte ab 35 Jahren alle drei Jahre.
Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat das IQWiG 2024 untersucht, wie die allgemeine Gesundheitsuntersuchung in Anspruch genommen wird. Demnach wird das Check-up-Angebot in Deutschland eher von Personen genutzt, die ohnehin häufiger Kontakt mit Arztpraxen haben. Nach der Auswertung des IQWiG gehen in Deutschland beispielsweise etwa 77 Prozent der 50-jährigen Männer und 85 Prozent der 50-jährigen Frauen mindestens einmalig innerhalb von zehn Jahren zur allgemeinen Gesundheitsuntersuchung. Insgesamt liegt die Nutzung auch ohne Einladung in derselben Größenordnung wie in Ländern mit Einladungsverfahren, im Vergleich sogar etwas darüber.
Gruppen, die das ambulante Versorgungssystem insgesamt weniger in Anspruch nehmen, nutzen auch dieses Angebot seltener. Dazu zählen Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status, Frauen und insbesondere Männer mit Hinweisen auf gesundheitliche Risiken (bzw. Personen, die ihren Gesundheitszustand selbst als mittelmäßig oder schlecht einschätzen) sowie Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind. Für den Bedarf dieser Gruppen sollten gezielte Informationsangebote geschaffen werden, auch in anderen Sprachen, betont das IQWiG.
Zugleich ist aber ein gesundheitlicher Nutzen des Check-ups selbst unklar. Einige Länder wie Österreich und Großbritannien haben ihre Angebote zu Gesundheitsuntersuchungen in den letzten Jahren deshalb wissenschaftlich neu bewertet und – insbesondere in Großbritannien – grundlegend reformiert. Dabei lag ein Schwerpunkt auf Bevölkerungsgruppen mit besonderen gesundheitlichen Risiken. Begleitend zur Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Bekanntheit ist daher auch in Deutschland eine Überprüfung der Inhalte der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung und der gezielten Ansprache bestimmter Gruppen sinnvoll.