Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags "Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen von Medizinprodukten besser gewährleisten" BT-Drs. 17/8920 und "Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten" BT-Drs. 17/9932

26. Juni 2012

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Vorschläge aus den Anträgen sind richtungsweisend

Die Vorschläge, die in den beiden zur Diskussion stehenden Anträgen enthalten sind, weisen aus Sicht des IQWiG in die richtige Richtung. Aufgabe des Instituts ist es, und Schaden medizinischer Maßnahmen zu bewerten. Wir befassen uns im Folgenden deshalb primär mit dem Aspekt der Nutzenbewertung.

Für Unterschiede in der Regulierung gibt es keinen medizinischen Grund

Medizinische Maßnahmen haben zum Ziel, Erkrankungen zu erkennen, sie zu heilen, oder, sofern eine Heilung nicht möglich ist, zumindest Beschwerden zu lindern oder Folgekomplikationen zu vermeiden. Das gilt für Arzneimittel und Medizinprodukte (genauer: medizinische Maßnahmen, an denen Medizinprodukte maßgeblich beteiligt sind) gleichermaßen. Da sowohl Arzneimittel als auch Hochrisiko-Medizinprodukte (Produkte der Klassen IIb und III) stets auch ein Schadenspotenzial bergen, gibt es aus Sicht des IQWiG keinen medizinischen Grund, weshalb der Marktzugang dieser beiden Produktgruppen grundsätzlich unterschiedlich geregelt ist.

Anwendung am Menschen wird bislang nicht ausreichend geprüft

Wie Arzneimittel sollten auch Medizinprodukte der höheren Risikoklassen künftig daraufhin überprüft werden, ob sie für Patientinnen und Patienten einen haben. Dass die gegenwärtige CE-Kennzeichnung allein auf Sicherheit und Funktionstauglichkeit fokussiert, ist für die moderne Medizintechnik nicht mehr zeitgemäß. Dies sollte auf europäischer Ebene geändert werden.

Der und Schaden medizinischer Interventionen lässt sich nur durch hochwertige vergleichende klinische Studien, in der Regel randomisierte kontrollierte Studien (RCT),ermessen. Das gilt für Medizinprodukte ebenso wie für Arzneimittel, wo solche Studien der Standard sind. Solche Studien sollten daher auch vorliegen, bevor neue Medizinprodukte der höheren Risikoklassen oder riskante Behandlungsverfahren breit in der Versorgung eingesetzt werden. Anderenfalls kann es durch die innovationsfreundliche Struktur des deutschen Gesundheitswesens dazu kommen, dass neue riskante Behandlungsverfahren bei einer Vielzahl von Patienten eingesetzt werden, bevor sich herausstellt, dass die Therapie keinen oder womöglich sogar einen Schaden bringt.

AMG und MPG definieren „klinische Prüfung“ sehr verschieden

Die aktuell für die CE-Kennzeichnung vorzulegenden „klinischen Prüfungen“ sind nicht geeignet um den beurteilen zu können. Der Begriff der „klinischen Prüfung“ täuscht darüber hinweg, dass das Arzneimittelgesetz (AMG) und das Medizinproduktegesetz (MPG) „klinische Prüfung“ sehr verschieden definieren. Tatsächlich reichen auch nach der Reform des europäischen Medizinprodukterechts in Hinblick auf den patientenrelevanten und Schaden noch wenig aussagekräftige Studien, auch sogenannte Fallserien aus, um einen Marktzugang zu bekommen. Von den gemäß MPG beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gemeldeten jährlich ca. 300 klinischen Prüfungen zu noch nicht CE-gekennzeichneten Medizinprodukten weisen mehr als 90% keine Vergleichsgruppe auf. Das heißt sie sind für eine Nutzenbewertung so gut wie nicht verwendbar.

Dabei sind hochwertige Studien, wie sie bei der Zulassung von Arzneimitteln längst Standard sind, auch bei Medizinprodukten möglich. Lediglich einzelne Besonderheiten sind zu beachten. So ist z.B. das Verwenden von Placebos in Medizinprodukte-Studien seltener möglich als bei Arzneimitteln. Wenn jedoch objektive Parameter untersucht werden, oder die Ergebnisse durch unabhängige Dritte verblindet erhoben werden, erreicht eine solche Studie die gleiche Aussagekraft wie eine placebokontrollierte Arzneimittelstudie. Der „Nationale Strategieprozess zu Innovationen in der Medizintechnik“ arbeitet derzeit daran, hier mehr Informationen und Hilfestellungen für Medizinproduktehersteller bereitzustellen.

Register können klinische Studien nicht ersetzen

Register, die jetzt von verschiedenen Seiten gefordert werden, sind dagegen kein Ersatz für klinische Studien. Zwar können Register hilfreich sein, um seltenere Komplikationen zu erfassen oder im schlimmsten Fall die Patientinnen und Patienten über Probleme mit einem bei ihnen implantierten Medizinprodukt zu informieren. Belastbare Erkenntnisse über einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Intervention und bei den Patienten beobachteten Effekten lassen sich daraus aber nicht gewinnen. Viele Register enthalten nur einen Teil der Patienten, erfassen die Daten nur unvollständig und erlauben daher keine vertrauenswürdigen wissenschaftlichen Vergleiche zwischen zwei Therapien. Gerade der Vergleich zwischen einem neuen und einem vorhandenen Medizinprodukt kann trügerisch sein, weil teilweise neue Medizinprodukte bevorzugt bei weniger schweren Krankheitsfällen eingesetzt werden.

Mehr Transparenz nötig

Bislang sind nahezu alle wesentlichen Dokumente zu Medizinprodukten nicht öffentlich zugänglich: Weder die für die CE-Kennzeichnung vorgelegten klinischen Daten, noch die Indikationen, für die die Produkte eingesetzt werden dürfen, noch die in der europäischen Datenbank EUDAMED gelisteten Alternativprodukte können von Arzt/Ärztin oder Patient/Patientin eingesehen werden. Auf diese Weise hat der Medizinproduktehersteller die Informationshoheit, die er dann in Werbebroschüren nutzen kann.

Wie in beiden Anträgen vorgeschlagen, sollten die Ergebnisse klinischer Studien zu Medizinprodukten – wie alle Studien – allgemein zugänglich gemacht werden. Das gilt auch für die klinischen Daten, die für die CE-Kennzeichnung vorgelegt werden. Des Weiteren sollte es verpflichtend sein, jede klinische Studie, die zu einem Medizinprodukt vor Marktzugang erfolgen soll, vor ihrem Beginn in einem öffentlichen Studienregister (z.B. DRKS) zu registrieren.

Köln, 26. Juni 2012