5. Internationaler Vergleich: Wie einheitlich werden nicht medikamentöse Verfahren international bewertet?

Aus der Sicht von Patientinnen und Patienten, Herstellern, aber auch Behörden hätte ein weltweit einheitliches Verfahren zur Bewertung neuer Methoden und Medizinprodukte mehrere Vorteile. Tatsächlich unterscheiden sich die Verfahren zwischen den Ländern aber erheblich – sowohl bei der Zertifizierung bzw. Zulassung neuer Medizinprodukte, als auch bei der Kostenerstattung für neue Behandlungsmethoden. So kann es vorkommen, dass eine neue Behandlungsmethode in Deutschland, nicht aber in Frankreich als Krankenkassenleistung verfügbar ist, während in den USA das zur Methode gehörige Medizinprodukt noch nicht einmal eine Zulassung erhalten hat.

Die Zertifizierung von Medizinprodukten ist zumindest innerhalb der EU einheitlich geregelt: Medizinprodukte werden über eine kaum zu übersehende Anzahl sogenannter Benannter Stellen geprüft und mit einem CE-Zertifikat versehen. In den USA dagegen werden Medizinprodukte genau wie Arzneimittel zentral über die Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen. Da die FDA höhere Anforderungen an die Belege für Wirksamkeit und Sicherheit stellt, erstellen Hersteller für die US-Zulassung regelhaft randomisierte kontrollierte Studien. Diese Studien werden oft also erst für den Zugang zum US-Markt erstellt, da sie für den Marktzugang in der EU nicht regelhaft erforderlich sind. Für die EU genügten bislang selbst für die höheren Risikoklassen IIb und III kleine Fallserien. In der Folge erreichen neue Medizinprodukte-Verfahren den EU-Markt im Durchschnitt zwar drei Jahre früher als den US-Markt, indes auf der Grundlage weit schlechterer , weil die Ergebnisse der Studien mit hoher Evidenzstufe bei der Bewertung in der EU nur selten zur Verfügung stehen. So kann es vorkommen, dass erst durch die Studien für den US-Markt deutlich wird, dass ein Medizinprodukt keinen hat oder sogar Schaden verursacht. So wurde z. B. 2010 in Europa eine Schaumversiegelung stark überblähter Lungenanteile zertifiziert, während dieses Medizinprodukt in den USA nie in den Markt gelangte, weil die hierfür notwendigen Studien wegen Nebenwirkungen scheiterten.

Ob und wie eine Behandlungsmethode oder ein (zertifiziertes) Medizinprodukt im Gesundheitssystem allgemein angeboten und bezahlt wird, entscheidet jedes EU-Mitglied nach eigenen Regeln. Daher verfolgt fast jedes Land seine eigene Bewertungs-Prozedur. Unterschiede finden sich in den verschiedensten Bereichen, von der Themenauswahl (manche Länder bewerten Medizinprodukte, andere nicht), über die Methodik (manche Länder bewerten das Kosten-Nutzen-Verhältnis, andere nicht) bis zum Zeitpunkt der Bewertung (manche Länder bewerten kurz nach der CE-Zertifizierung, andere erst Jahre danach oder gar nicht).

Die Gründe für die Unterschiede sind vielfältig: Selbst innerhalb Europas unterscheiden sich die Gesundheitssysteme teils erheblich: in rechtlichen, finanziellen, organisatorischen wie auch sozialen Aspekten. Dies führt dazu, dass die Systeme unterschiedliche Maßstäbe anlegen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedliche Art und Weise Bewertungen durchführen. Obwohl in der EU einige Länder ihre Health Technology Assessments (HTAs) vollständig in Englisch verfassen, erfolgt dies in anderen Ländern in der Landessprache, lediglich ergänzt durch eine englische Zusammenfassung, was indes die Verständlichkeit in anderen Ländern erschwert.

Auf europäischer Ebene gibt es seit Jahren Bestrebungen zu einer Vereinheitlichung der Verfahren, vor allem über das 2006 gegründete European Network for (EUnetHTA) mit seinen über 80 beteiligten Institutionen in 30 Ländern (mehr erfahren unter eunethta.eu). Innerhalb des Netzwerks einigte man sich in den zurückliegenden Jahren unter anderem auf methodische Grundlagen und ein gemeinsames Rahmenwerk für die Bewertung von Gesundheitstechnologien.

Symbolbild "Labor"

Anfang 2018 machte die Europäische Kommission dann einen Vorschlag, wie eine einheitliche Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten auf europäischer Ebene aussehen könnte (mehr erfahren unter ec.europa.eu ). Dieser stieß jedoch auf viel Kritik, weil er teils sehr stark in die nationale Gesundheitspolitik eingreifen und Mitgliedsstaaten dazu verpflichten würde, gemeinsame HTA-Berichte zu übernehmen und in der Konsequenz keine eigenen Bewertungen mehr zusätzlich zu erstellen. Erst im Juni 2021 fand sich ein Kompromiss (mehr erfahren unter europarl.europa.eu). Gemeinsame europäische Nutzenbewertungen wird es ab 2025 geben. Zunächst sollen für alle neuen Krebsmedikamente und für Medikamente, die lebende Zellen oder Gewebe enthalten, gemeinsame HTA-Berichte erstellt werden. In den Folgejahren wird die Bewertung auf alle Arzneimittel ausgedehnt. Die europäische Bewertung von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika soll gemäß EU-HTA-Regulation bis 2027 erste Ergebnisse liefern, bleibt aber auf einige wenige, besonders wichtige Hochrisikomedizinprodukte beschränkt (mehr erfahren unter eur-lex.europa.eu).

Bild: © PantherMedia / Golden Sikorka

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Jens Flintrop

Pressesprecher

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